Amt und Person
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Mit Dr. Felix Klein wurde zum 1. Mai 2018 erstmals ein Beauftragter der Bundesregierung berufen, der für die Bekämpfung von Antisemitismus und den Schutz und die Sichtbarmachung von jüdischem Leben zuständig ist. Die Einrichtung des Amtes geschah vor dem Hintergrund der intensiven Diskussion über eine Zunahme des Antisemitismus in Deutschland und der Frage, wie diesem Phänomen bestmöglich auf Ebene des Bundes entgegengetreten werden kann.
Antisemitische Vorfälle sind in Deutschland auf dramatische Weise angestiegen. Corona, dann der russische Angriff auf die Ukraine und aktuell nun der Gaza-Krieg als Folge des schrecklichen Terrorangriffs der Hamas auf Israel wirken hier geradezu wie Brandbeschleuniger.
Im Mai 2024 hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser gemeinsam mit Holger Münch, dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes, bei der Vorstellung der Fallzahlen für die Politisch Motivierte Kriminalität (PMK) 2023 einen bisher beispiellosen und erschütternden neuen Höchststand antisemitischer Straftaten seit Beginn der Erfassung bekannt gegeben.
Im Oberthemenfeld Hasskriminalität, unter dem in der PMK-Statistik jene Straftaten erfasst werden, die durch sogenannte gruppenbezogene Vorurteile motiviert sind, wurden 17.007 Straftaten registriert. Darunter fallen Straftaten, denen etwa antisemitische antiziganistische, rassistische, frauenfeindliche, queerfeindliche oder andere Formen, gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zugrunde liegen. 30,36 Prozent dieser Fälle von Hasskriminalität waren judenfeindlich motiviert. Konkret bedeutet diese Zahl: Nahezu ein Drittel aller Straftaten gegen spezifische Gruppen betrafen vergangenes Jahr die vergleichsweise sehr kleine jüdische Gemeinschaft in Deutschland, die nur rund 0,25 Prozent der deutschen Bevölkerung ausmacht.
Jüdinnen und Juden sind also einem Hass ausgesetzt, der, im Verhältnis betrachtet, noch viel eklatanter ist, als die absoluten Zahlen es vermuten lassen.
Was bedeutet das konkret für Jüdinnen und Juden in Deutschland? Der alltägliche Antisemitismus zeigt sich beispielsweise in judenfeindlichen Schmierereien, in Pöbeleien auf offener Straße, Drohungen, Beleidigungen und zunehmend ungehemmter Hetze gegen Juden im Internet. Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel haben sich diese Vorfälle vervielfacht. Viele jüdische Studierende fühlen sich an Universitäten nicht mehr sicher, Menschen mit jüdisch klingenden Namen bestellen bei Lieferdiensten ihr Essen unter Pseudonym, um nicht als jüdisch erkennbar zu sein. Viele überlegen sich, ob sie noch in die Synagoge gehen sollen. Bei vermeintlich propalästinensischen Demonstrationen sind häufig Slogans zu hören, auf die Vernichtung des Staates Israel zielen und unter Strafe stehen.
Schon der furchtbare Anschlag von Halle im Oktober 2019, bei dem am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur zwei Menschen getötet wurden und 52 weitere in der Synagoge nur knapp dem Tode entgingen, offenbarte eine neue Dimension der Gewalt und damit einen Einschnitt, nach dem die antisemitische Bedrohung von niemandem mehr ignoriert werden kann.
Bereits mit dem fraktionsübergreifenden Antrag vom Januar 2018 unter dem Leitsatz „Antisemitismus entschlossen bekämpfen" hat der Deutsche Bundestag deutlich gemacht, dass er sich gegen jede Form von Antisemitismus wendet. Damit hat er unterstrichen, dass die Bekämpfung von Antisemitismus nicht nur als staatliche oder gar alleinige Angelegenheit der in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden verstanden werden darf, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Dem Antrag stimmte der Deutsche Bundestag am 18. Januar 2018 mit großer Mehrheit zu.
In der Folge wurde das Amt eines Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus im Koalitionsvertrag von 2018 festgeschrieben. Es ist räumlich im Bundesministerium des Innern und für Heimat angesiedelt. Der Beauftragte verfügt für die Bekämpfung von Antisemitismus und zur Förderung jüdischen Lebens in Deutschland über Haushaltsmittel in Höhe von jährlich einer Million Euro. Zur Unterstützung seiner Arbeit wurden im Bundesministerium des Innern und für Heimat 13 zusätzliche Stellen geschaffen. Unter anderem wurde die neue Arbeitseinheit „Bekämpfung Antisemitismus" eingerichtet und das Referat „Kirchen, Jüdisches Leben und Religionsgemeinschaften" verstärkt. Beide sind in Abteilung „Heimat, Zusammenhalt und Demokratie" eingegliedert.
Aufgabe des Beauftragten ist es, Maßnahmen der Bundesregierung, die den Antisemitismus bekämpfen, ressortübergreifend zu koordinieren. Darüber hinaus soll er Ansprechpartner für jüdische Gruppen und gesellschaftliche Organisationen sowie Vermittler für die Antisemitismusbekämpfung durch Bund, Länder und Zivilgesellschaft sein und zur Sensibilisierung der Gesellschaft für aktuelle und historische Formen des Antisemitismus durch Öffentlichkeitsarbeit sowie politische und kulturelle Bildung beitragen. Im Herbst 2022 legte die Bundesregierung die Nationale Strategie gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben (NASAS) und damit erstmals eine Strategie vor, die ausschließlich die Bekämpfung von Antisemitismus und die Förderung jüdischen Lebens im Fokus hat. Sie wurde unter Federführung des Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus erarbeitet. Mit der NASAS wird die Erforschung, Prävention und Bekämpfung von Antisemitismus sowie die Förderung jüdischen Lebens als politikfeld- und ebenenübergreifende Querschnittsaufgabe in einem ganzheitlichen Ansatz konzipiert.
Der Arbeitsauftrag des Beauftragten gründet auf konkreten Forderungen, die der Bundestagsbeschluss 19/444 beinhaltet und die auf den Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus (18/11970) zurückgehen.
Seit Dr. Felix Klein 2018 berufen wurde, sind unter seiner Federführung und auf seine Anregung hin bereits viele der Forderungen umgesetzt worden, darunter vier der fünf zentralen Forderungen:
- Zur Koordinierung der Maßnahmen des Bundes und der Länder hat sich im September 2019 die ständige Bund-Länder-Kommission konstituiert. Das Gremium steht unter dem gemeinsamen Vorsitz des Beauftragten und dem oder der jeweils wechselnden Co-Vorsitzenden eines Bundeslandes. Fünfzehn Bundesländer haben inzwischen ebenfalls Antisemitismusbeauftragte berufen oder haben angekündigt, dies zu tun.
- Zur Unterstützung der Arbeit des Beauftragten wurde ebenfalls im September 2019 ein mit jüdischen und nichtjüdischen Expertinnen und Experten besetzter Beratungskreis eingerichtet. Mit der Bestellung dieses unabhängigen Gremiums wird Expertise aus Wissenschaft, Bildungspraxis und Zivilgesellschaft in die Arbeit des Beauftragten integriert.
- Die Unterstützung eines schrittweisen bundesweiten Aufbaus einer konsequenten Erfassung, Dokumentation und Veröffentlichung antisemitischer Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsschwelle sowie eine engere Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und Sicherheitsbehörden.
- Der Start einer langfristig angelegten Forschungsförderung zum Antisemitismus.
Der Beschluss des Deutschen Bundestags vom 18. Januar 2018 beinhaltet auch die Aufforderung an die Bundesregierung, über den Umsetzungsstand und die Bewertung der Handlungsempfehlungen des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus aus dem Jahr 2017 zu berichten. Einen solchen Bericht hat die Bundesregierung im September 2020 erstmals vorgelegt, er wurde am 11. September 2020 vom Deutschen Bundestag als Drucksache 19/22389 veröffentlicht. In Zukunft wird die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag alle vier Jahre einen Bericht über den Stand der Bekämpfung des Antisemitismus in Deutschland vorlegen.