Klein: Müssen die mangelnde strafrechtliche Aufarbeitung des Münchner Olympia-Attentats diskutieren
Interview 02.09.2022
Felix Klein spricht im Interview mit Diana Zinkler für die Berliner Morgenpost über die Einigung über eine Entschädigung für die Angehörigen der israelischen Opfer des Olympia-Attentats 1972. Zugleich setzt er sich in dem Gespräch für eine lückenlose Aufklärung und die strafrechtliche Verfolgung der Täter ein.
FUNKE Mediengruppe
Herr Klein, es sieht so aus, als sei die deutsche Bundesregierung gerade noch einmal an einer ziemlichen Blamage vorbeigeschrammt. Wieso hat es so lange gedauert, bis Angehörige und Bundesregierung einen Kompromiss gefunden haben?
Ich begrüße die Einigung sehr. Es wurde seit Monaten verhandelt und diese Verhandlungen waren nicht ganz einfach. Von einigen Angehörigen sind unrealistische Forderungen gestellt worden. Linien, die die Bundesregierung nicht überschreiten konnte. Wie zum Beispiel, dass die eingefrorenen Millionen des libyschen Ex-Machthabers Gaddafi herangezogen werden. Ein solches Verfahren hätte den Grundsatz der Staatenimmunität angegriffen, worauf sich die Bundesregierung rechtlich gesehen in anderen Verfahren aber beruft. Ein solches Vorgehen hätte Deutschland geschadet. Es wäre aber auch sehr unwahrscheinlich gewesen, dass der Sanktionsausschuss der Vereinten Nationen einer solchen Zahlung in der derzeitigen Situation zugestimmt hätten.
Es sollen nun 28 Millionen Euro gezahlt werden. Reicht das?
Geld ist das eine, aber die Aufarbeitung des Attentats ist das andere. Alle Archive zu dem Fall müssen nun geöffnet werden. Die angekündigte Aufarbeitung des Olympia-Attentats und Öffnung der Akten sind auch dringend notwendig, da sie über Jahrzehnte verschleppt wurden. Eine israelisch-deutsche Historiker-Kommission muss dafür eingesetzt werden, nach all der Zeit brauchen wir eine ehrliche Aufklärung.
Aber wieso ist diese Aufklärung all die Jahre verschleppt worden?
Ich glaube, hier haben Bundesregierung, Polizei, das Land Bayern und die Stadt München gemeinsam versagt. In Deutschland hat man sich lange als Opfer dieses Attentats gesehen. Man hat sehr lange auf die "fröhlichen Spiele" von München hingearbeitet – außer auf das Sicherheitskonzept, wie sich dann herausstellte. Auf die Spiele war man entsprechend stolz und diese wurden durch diesen schlimmen Terroranschlag zerstört. Zudem wollte niemand, dass sich der israelisch-palästinensische Konflikt auf Deutschland auswirkt. Das war die Ausgangssituation. Als dann das Attentat stattfand, sind schwerwiegende Fehler passiert. Angefangen beim Polizeieinsatz, über die Ablehnung der Hilfe durch israelische Terrorspezialisten, bis dahin, dass es nach dem Attentat keinen einzigen Rücktritt gab. Das Narrativ lautete, man hat gelernt und die GSG-9 gegründet. Die Verantwortlichen gaben vor, doch etwas Positives daraus gemacht zu haben und da störten die Forderungen der Angehörigen eher. Vor allem die Forderungen nach Aufarbeitung.
Sie haben selbst vor ein paar Wochen gesagt, dass sie das erste Zehn-Millionen-Euro-Angebot angemessen finden. Sind die 28 Millionen Euro noch angemessener?
Ich möchte mich zu der konkreten Summe nicht äußern. Mir war immer nur wichtig, dass die Deutschen die Entschädigung zahlen, weil der Anschlag in Deutschland passiert ist.
Für Sie als Antisemitismusbeauftragter muss dieser ganze Vorgang extrem unerfreulich gewesen sein. Es wurde viel Porzellan bezogen auf die deutsch-israelischen Beziehungen zerschlagen.
Je mehr ich mich mit dem Olympia-Attentat beschäftigt habe, umso weniger Verständnis habe ich für diesen Vorgang gehabt. Das Münchner Attentat von 1972 und alles, was in diesem Zusammenhang danach folgte, ist auf deutscher Seite ein Staatsversagen gewesen. Es ist daher fast ein Wunder, dass die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel nicht größeren Schaden genommen haben.
In einigen Dokumentationen zu München 72 wird auch auf die Flugzeugentführung vom 29. Oktober 1972 eingegangen, die deutsche Regierung sei vorgewarnt gewesen, heißt es. Und am Ende erleichtert, dass man die drei noch palästinensischen Geiselnehmer von München gegen die Geiseln austauschen konnte. Wie wirkt das auf Sie?
Wir müssen das alles aufklären.
Angehörige erwarten für all das eine Entschuldigung der Bundesregierung. Folgt die nun?
Ich glaube, es ist Zeit für eine Entschuldigung und ich denke, der Bundespräsident wird am Montag auf der Gedenkveranstaltung die richtigen Worte finden.
In der vierteiligen ARD-Doku-Serie „Tod und Spiele – München 72“ kommen zwei der Geiselnehmer zu Wort. Vor allem Mohammed al-Safadi, der fünf der israelischen Sportler erschossen haben soll, zeigt keine Reue. Ist es nicht absurd, dass er im öffentlich-rechtlichen Fernsehen so einen Auftritt hat?
Das offenbart den generellen Umgang der palästinensischen Seite mit dem Terroranschlag von München. Diese Haltung hat auch Palästinenser-Präsidenten Abbas im Kanzleramt gezeigt. Statt sich zu entschuldigen, warf er Israel vor, 50 Holocausts in den palästinensischen Gebieten begangen zu haben Ende September treffe ich mich mit dem Leiter des palästinensischen Verbindungsbüros in Berlin, Herrn Laith Arafeh. Aber auch Präsident Abbas kann nicht den Holocaust und das Attentat relativieren, schon gar nicht in dem deutschen Kanzleramt – ohne dass wir ihm eine Antwort geben. Auch die jüdische Gemeinschaft in Deutschland erwartet zurecht, dass wir hier noch ein deutliches Signal geben.
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte tatsächlich in diesem Moment keine Antwort.
Das war meiner Ansicht nach ein Kommunikationsproblem. Es ist aber inhaltlich eindeutig, dass der Bundeskanzler jeglichen Antisemitismus verurteilt.
Müsste die Generalbundesanwaltschaft nicht längst einen Haftbefehl gegen die beiden noch lebenden Attentäter erteilt haben?
Auf jeden Fall müssen wir die mangelnde strafrechtliche Aufarbeitung des Münchner Olympia-Attentats diskutieren. Nach deutschem Recht verjährt Mord nicht.
Auch im vergangenen Jahr gab es bei den Olympischen Spielen in Tokio antisemitische Vorfälle. Ein Algerier wollte gegen israelischen Judoka nicht antreten, in der nächsten Runde passierte ihm das Gleiche noch mal. Hat der Sport ein Antisemitismusproblem?
Im Sport gibt es Antisemitismus, insbesondere einen israelbezogenen. Das, was dem israelischen Judo-Kämpfer passiert ist, muss vom Internationalen Olympische Komitee aufgearbeitet werden.
Blicken wir noch einmal auf ein anderes Ereignis dieses Jahres zurück: Die Documenta und die antijüdischen, antiisraelischen Darstellungen des indonesischen Künstlerkollektivs Ruangrupa. Was ist da eigentlich schief gelaufen?
An der Documenta zeigt sich, wie völlig unkuratiert und ungeprüft israelbezogener Antisemitismus aus einem anderen Land nach Deutschland gelangt ist. Die Verantwortlichen der Documenta, des Landes Hessen und der Stadt Kassel haben hier aus meiner Sicht versagt. Die Darstellungen hätten auch im nationalsozialistischen Hetzblatt „Der Stürmer“ stehen können. Auch hier muss man die Frage nach strafrechtlichen Konsequenzen stellen.
Darf das Kunst in Deutschland?
Kunstfreiheit hat dort Grenzen, wo die Grundrechte anderer verletzt werden. Hier wird Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes, der Schutz der Menschenwürde, auf skandalöse Weise verletzt. Die jüdische Betroffenenperspektive ist völlig in den Wind geschlagen worden. Für die Documenta müssen neue Strukturen geschaffen werden. Es kann nicht sein, dass ein so wichtiges Ereignis wie die Documenta ohne die Mitwirkung des Bundes geplant wird, wo sie doch so große außenpolitische Wirkung hat und mit erheblichen öffentlichen Mitteln gefördert wird
Braucht die Documenta ein Aufpassergremium?
So würde ich es nicht bezeichnen. Aber es braucht einen mit adäquaten Befugnissen ausgestatteten Beirat oder Aufsichtsrat. Das glaube ich schon.
Das Künstlerkollektiv Ruangrupa hat intensive Verbindungen zur israelfeindlichen „Boycott, Divestment and Sanctions“-Bewegung. Bereits im Jahr 2019 beschloss der Bundestag der BDS-Bewegung entschieden entgegenzutreten. Sollte die Bundesregierung diesen Beschluss nicht endlich umsetzen?
Völlig richtig, der BDS-Beschluss muss verbindlicher und vehementer von der Bundesregierung umgesetzt werden. Mit allen politischen und gesellschaftlichen Mitteln müssen wir gegen die BDS-Bewegung vorgehen.
Je heftiger die ökonomische oder soziale Krise, desto stärker tritt der Antisemitismus in Erscheinung. Was erwarten Sie jetzt vom Herbst in Deutschland, wenn die Inflation und die Lebenskosten weiter steigen?
Ich mache mir große Sorgen, dass wir im Herbst eine neue Welle antisemitischer Vorfälle oder sogar Straftaten erleben werden. Dass sich Gruppen, egal ob von links oder von rechts, zusammentun im Judenhass oder der undifferenzierten Kritik an Israel, die sonst nichts gemeinsam haben als soziale Unzufriedenheit. In Krisenzeiten sind die Menschen immer anfälliger für Antisemitismus. Juden für Krisen verantwortlich zu machen, ist leider ein Muster in Deutschland. Man spürt, es braut sich etwas zusammen. Aber ich setze zugleich darauf, dass es mutige zivilgesellschaftliche Kräfte gibt, die sich entgegenstellen und für die Demokratie einstehen.