Felix Klein: "Die meisten meiner Anregungen sind aufgenommen worden"
Interview 14.03.2021
Felix Klein blickt im Interview mit Jacques Schuster und Frederik Schindler von der Welt am Sonntag auf Erfolge und Herausforderungen seiner bald dreijährige Amtszeit zurück und sprach über eine von ihm befürwortete Anbindung seines Amts an das Kanzleramt. Das Interview wurde am 14. März in der Welt am Sonntag veröffentlicht.
Welt am Sonntag
WELT AM SONNTAG: Herr Klein, vor genau einem Jahr gingen wir in den ersten Lockdown. Seither haben wir nicht nur verschiedene Wellen der Pandemie erlebt, sondern auch ein Aufblühen wilder, mitunter antisemitischer Verschwörungstheorien. Für wie stark halten Sie diese Gruppierungen?
FELIX KLEIN: Ich bin erschreckt von der neuen Dimension, mit der wir es hier zu tun haben. Milieus, die eigentlich nicht viel miteinander zu tun haben, marschieren nun im Kampf gegen die als zu repressiv wahrgenommenen Corona-Maßnahmen Seite an Seite. Wenn dabei Antisemitismus als Bindeglied fungiert, müssen alle repressiven, geheimdienstlichen, ordnungs- und polizeirechtlichen Möglichkeiten genutzt werden. Der Kampf gegen die Pandemie führt uns nochmal vor Augen, wie wichtig, aber auch fragil der gesellschaftliche Zusammenhalt ist.
Was kann man gegen solche Gruppen und gegen die Verbreitung ihrer Ideen noch tun?
Klein: Das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität im Internet muss endlich verabschiedet werden. Dieses würde für Polizei und Staatsanwaltschaften weitere Möglichkeiten eröffnen, an die Identitäten derjenigen heranzukommen, die strafbare Inhalte im Netz verbreiten. Zudem müssen die Ordnungsbehörden der Kommunen voneinander lernen, was die Auflagen von Demonstrationen angeht. Die Stadt München ist hier vorbildlich mit dem Verbot des „Judensterns“ vorangegangen.
Seit 2015 nimmt die Zahl antisemitischer Straftaten Jahr für Jahr zu. Wie erklären Sie sich das?
Klein: Es ist eine zunehmende Verrohung und Brutalisierung in unserer Gesellschaft zu beklagen. Judenhass ist dadurch salonfähiger geworden. Ein großer Teil der antisemitischen Straftaten wird im Internet begangen. Dinge, die vorher vielleicht gedacht, aber nicht offen artikuliert wurden, werden dort mittlerweile offen geäußert. Gleichzeitig gibt es eine höhere Anzeigenbereitschaft, die ich als sehr positiv werte und auf ein gestiegenes Vertrauen derjüdischen Gemeinschaft in die Sicherheitsbehörden zurückführe.
Muss gesetzlich nachgeschärft werden?
Klein: Ich setze mich dafür ein, dass ein neuer Straftatbestand, die „verhetzende Beleidigung“, eingeführt wird. Bislang ist es so, dass etwa Briefe an den Zentralrat der Juden, in denen der Nationalsozialismus verherrlicht wird, nicht bestraft werden können, weil es zur Volksverhetzung am Tatbestandsmerkmal der Verbreitung fehlt. Diese Strafbarkeitslücke muss geschlossen werden.
Das Amtsgericht Dillingen wollte im vergangenen Jahr in einem Video über einen „geldgierigen Juden“ keinen Angriff auf die Menschenwürde erkennen, weil Gier und Geiz auch positiv gesehen werden würden („Geiz ist geil“). Ist die Justiz ausreichend geschult, um Judenhass erkennen zu können?
Klein: Ich sehe bei der Justiz noch viel Handlungsbedarf, was das Erkennen von Antisemitismus angeht. Häufig kommt es nicht zu einer Anklage, weil der Antisemitismus fälschlicherweise unerkannt bleibt. So wurden etwa Ermittlungen gegen die rechtsextreme Kleinpartei Die Rechte eingestellt, die Wahlplakate mit der Aufschrift „Israel ist unser Unglück“ verwendet hatten. Antisemitismusbeauftragte bei den Staatsanwaltschaften, wie sie von einigen Bundesländern bereits eingeführt wurden, sollte es bundesweit geben. Richter und Staatsanwälte müssen zudem in diesem Themenbereich speziell fortgebildet werden. Bereits in der Ausbildung von Juristen müssen Kenntnisse über das Justizunrecht im Nationalsozialismus als verbindlicher Prüfungsgegenstand verankert werden. Ich freue mich, dass die Bundesjustizministerin diesbezüglich meine Initiative aufgegriffen hat und eine Neuregelung im Deutschen Richtergesetz anstrebt.
Viele Juden, die seit den Neunzigerjahren als Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland kamen, leben in Altersarmut. Der Bundesrat hat die Bundesregierung Mitte Februar aufgefordert, jüdische Kontingentflüchtlinge im Rentenrecht mit Spätaussiedlern gleichzustellen. Wie bewerten Sie diese Forderung?
Klein: Ich unterstütze sie. Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, dass ein Härtefallfonds für jüdische Kontingentflüchtlinge geprüft werden soll. In Gesprächen zwischen dem Innen-, Sozial- und Finanzministerium setze ich mich für eine Gleichbehandlung mit Spätaussiedlern ein. Häufig geht es um Menschen, die in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion als Nachbarn gelebt haben. Ich würde mir wünschen, dass der Härtefallfonds noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird.
Die Bundesregierung steht kurz vor dem Ende der Legislaturperiode. Was sollte bis September Ihrer Ansicht nach noch auf den Weg gebracht werden?
Klein: Der Bundestag sollte seine Zusage einlösen, innerhalb dieser Legislaturperiode eine Plenardebatte zum Thema Antisemitismus durchzuführen. Das gäbe Gelegenheit, zur Arbeit gegen Judenhass Bilanz zu ziehen. Die Verbrechen der Ärzte im Nationalsozialismus sollten in der Appropriationsordnung als Pflichtstoff für Medizinstudenten verankert werden. Ein Drittel der Medizinstudenten kennt Umfragen zufolge den Namen Mengele nicht. Zudem würde ich es begrüßen, wenn das „Wehrhafte-Demokratie-Fördergesetz“ noch verabschiedet werden würde, da die Träger der Antisemitismusprävention eine langfristige finanzielle Absicherung brauchen.
Sie sind nun fast drei Jahre im Amt. Inwieweit besteht allein in der Tatsache, dass es einen Antisemitismusbeauftragten gibt die Gefahr, dass man dieses Problem bei Ihnen gut aufgehoben weiß und sich nicht ausführlicher damit beschäftigen muss?
Klein: Nach drei Jahren im Amt bin ich froh sagen zu können, dass diese Gefahr nicht besteht. In allen Ministerien habe ich Gehör gefunden. Die meisten meiner Anregungen sind aufgenommen worden. Auf meine Initiative ist etwa Verbrennung von Flaggen strafbar geworden. Ähnlich lief es im Fall des Paragraphen 46,2 StGB, der nun bei der Strafzumessung auch rassistische und antisemitische Beweggründe berücksichtigt. Zu nennen ist auch der Neuerlass des Namensänderungsgesetzes. Dabei geht es darum, die Gesetzbücher von sprachlichen Überbleibseln aus der Nazi-Zeit befreien. Manche Gesetze beginnen immer noch mit der Formel: „Die Reichsregierung hat folgendes Gesetz beschlossen“. Auch das bundesweite Monitoring antisemitischer Zwischenfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze geht auf meine Initiative zurück, genauso wie die mit dem Familienministerium durchgeführte Gründung des Kompetenznetzwerkes RIAS. Ich bin darüber hinaus aktiv eingebunden gewesen im Kabinettsausschuss Rechtsextremismus.
Was ist Ihnen nicht gelungen?
Klein: Leider habe ich es nicht geschafft, die Diskriminierung israelischer Fluggäste durch Kuwait Airways zu beenden. Entweder müsste das Verkehrsabkommen mit Kuwait neu verhandelt oder das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetzes geändert werden. Man müsste dann das Tatbestandsmerkmal der Staatsbürgerschaft einfügen. Ich werde da weiter dranbleiben. Für mich ist es unerträglich, dass Israelis als Kunden der Kuwaitischen Fluglinie auch in Deutschland benachteiligt werden.
Reichen insgesamt Ihre Kompetenzen?
Klein: Die vergangenen drei Jahren haben gezeigt, dass der Kampf gegen Antisemitismus eine große Querschnittsaufgabe ist, die alle Ressorts betrifft. Das wurde auch von der EU und ihren Mitgliedern so anerkannt. In vielen europäischen Ländern wird der Kampf gegen Antisemitismus deshalb von der Regierungszentrale aus koordiniert: in Frankreich, in Italien. In Österreich wird derzeit eine Task Force im Bundeskanzleramt eingerichtet.
Heißt das, Ihre Stelle wäre erfolgreicher, wenn Sie dem Bundeskanzleramt zugeordnet wäre?
Klein: Jedenfalls hat es eine besondere Autorität, wenn Sie aus der Regierungszentrale Initiativen ergreifen oder auch Dinge einfordern, die vielleicht in einem Fachressort anders gesehen werden, erst recht wenn man selbst dem Fachressort zugeordnet ist.
Sind Sie grundsätzlich unzufrieden mit der Anbindung an das Innenministerium?
Klein: Ich konnte mich immer auf Innenminister Seehofer verlassen. Es ergibt sich aus der Natur der Sache, dass es auch immer wieder mal Anlässe gibt, in denen meine Auffassung eine andere ist, als die in den Abteilungen des Fachressorts. Da bin ich froh, nicht weisungsgebundenes Glied der hierarchischen Kette zu sein.
Zum Beispiel?
Klein: Die Neuregelung des Namensrecht konnte in dieser Legislaturperiode nur mit Unterstützung des Bundesinnenministers auf den Weg gebracht werden. Um dem Eindruck vorzubeugen, dass meine Themen vor allem unter sicherheitspolitischen Aspekten gesehen werden, Antisemitismusbekämpfung aber auf ganz vielen politischen Handlungsfeldern erfolgen muss, wäre mein Wunsch, das Amt in der neuen Legislaturperiode im Kanzleramt zu verankern. Auch vor dem Hintergrund, dass es in der kommenden Legislaturperiode voraussichtlich auch einen Beauftragten im Kampf gegen den Rassismus im Bundeskanzleramt geben soll, macht es Sinn, diese beiden Ämter gleichrangig in einer Behörde unterzubringen, eben im Kanzleramt.
Gerade im vergangenen Jahr sind Sie von Wissenschaftlern und Publizisten angegriffen worden. Man warf Ihnen vor, Sie bekämpften den Antisemitismus auf der falschen Seite. Was ist aus diesem Streit geworden?
Klein: Die Debatte, die im vergangenen Jahr mitunter sehr emotional geführt wurde, ist zunehmend rationaler geworden. Zum Glück. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass im Dezember die „Initiative 5.3. Weltoffenheit“, also wichtige Vertreter der deutschen Wissenschaft- und Kulturlandschaft, zu Wort gemeldet haben. Ich bin nach der Veröffentlichung ihres Manifests auf diese Gruppe zugegangen, um ihre Bedenken auszuräumen.
Eines dieser Bedenken war, dass aufgrund der Bundestagsresolution zum BDS Kulturinstitutionen bestimmte Personen nicht mehr zu sich einladen können.
Klein: Ja und diese konnte ich ausräumen. Ich hatte ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags zur Bundestagsresolution mit angeregt. Dieses Gutachten kommt zu dem Urteil: Der BDS-Beschluss des Bundestags stellt keine Eingriffsberechtigung in die Kulturhoheit dar. So ist noch einmal gesagt worden, wovon ich immer schon ausging: Die Meinungsfreiheit wird durch die Willensbekundung des Bundestages in keiner Weise eingeschränkt. Bei den Mitgliedern der Initiative, mit denen ich Gespräch bin, spüre ich eine große Erleichterung. Ich möchte noch weiteren dieser Gruppen in Gesprächen diese Sorge nehmen. Dennoch bleibe ich bei meiner Position, dass der israelbezogene Antisemitismus kein valabler Beitrag zum deutschen Diskurs sein darf. Ich nehme aus der Debatte mit, dass wir unsere Erinnerungskultur erweitern müssen, um die Menschen stärker zu erreichen, die ihre familiären Wurzeln nicht in Deutschland haben. Aber in einer Form, die Antisemitismus und Antizionismus ausschließt.