Felix Klein: „Der BDS-Beschluss ist keine Eingriffsberechtigung in die Tätigkeit von Kulturinstitutionen“
Interview 11.01.2021
Felix Klein sprach im Interview mit Hanno Hauenstein von der Berliner Zeitung über die Debatte um die BDS-Resolution des Deutschen Bundestages, welche Konsequenzen sie in der Umsetzung hat, dass er auch mit Kritikern des Beschlusses das Gespräch sucht und sich grundsätzlich darüber freut, dass diese Debatte geführt wird. Das Interview wurde am 11. Januar in der Berliner Zeitung veröffentlicht.
Berliner Zeitung
Herr Dr. Felix Klein, die BDS-Resolution des Bundestags wurde in den letzten Monaten wiederholt kritisiert, besonders seitens der Initiative GG 5.3 Weltoffenheit. Halten Sie die BDS-Resolution dennoch nach wie vor für richtig?
Es handelt sich ja um einen Bundestagsbeschluss. Ich selbst bin kein Abgeordneter, bin aber als Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung gehalten, den Beschluss umzusetzen. Es handelt sich dabei um kein Gesetz, sondern um eine politische Willensbekundung. Der Beschluss ist ein Zeichen der Solidarität mit Israel und gegenüber der jüdischen Bevölkerung hier in Deutschland, die BDS im Großteil als Bedrohung empfindet. Wir sagen ja immer wieder, dass jüdisches Leben zu Deutschland gehört und wir allen Tendenzen, die sich dagegen wenden, entgegentreten wollen. Man muss auch den Kontext sehen, dass Studien zufolge bei bis zu 40 Prozent der deutschen Gesellschaft israelbezogener Antisemitismus latent vorhanden ist. Ich denke, der BDS-Beschluss geht über BDS selbst weit hinaus.
Die Initiative Weltoffenheit betonte, dass sie der BDS-Bewegung keine Sympathien entgegenbringt. Sie lehne die „Logik des Boykotts“ ab, die letztlich auch der BDS-Resolution unterliege. Können Sie dieses Argument nachvollziehen?
BDS arbeitet mit einem Boykott, der in Bezug auf Juden vor dem Hintergrund unserer deutschen Geschichte eine bestimmte Konnotation hat. Das lässt sich nicht losgelöst vom nationalsozialistischen „Kauft nicht bei Juden“ behandeln, selbst wenn es sich in diesem Zusammenhang um Israel handelt. Es gehört in meinen Augen zum politischen Diskurs dazu, dass die Politik da etwas dagegensetzt. Soweit ich die Akteure der Initiative verstehe, wollen sie einen kritischen Diskurs zulassen, das finde ich ein legitimes Anliegen. Anscheinend hat es durch den BDS-Beschluss Scheren im Kopf gegeben, die Initiative bemüht sich um Klarheit über die Auswirkungen des BDS-Beschlusses auf den Kulturbetrieb. Daher habe ich als unmittelbare Reaktion auf die Initiative angeregt, ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes zu erstellen. Dieses liegt mittlerweile vor und räumt das größte Missverständnis schon einmal aus: nämlich jenes, dass der BDS-Beschluss eine Eingriffsberechtigung in die Tätigkeit von Kulturinstitutionen wäre. Die Sorge war ja, dass der Beschluss Grundrechte unrechtmäßig beschneidet. Der BDS-Beschluss lässt viel Raum für Meinungsfreiheit, selbst Antisemitismus bleibt wie bisher durch Art. 5 GG geschützt.
Sie sagen, der BDS-Beschluss gebe keine Verfügung für Verbote. Aber das Argument der Initiative bezieht sich ja nicht nur auf die rechtliche Seite. Sie kritisiert auch, dass rufschädigende Angriffe wie die auf Peter Schäfer oder Achille Mbembe durch die BDS-Resolution symbolisch an Gewicht gewinnen konnten.
Ich möchte noch einmal klarstellen: Achille Mbembe wurde nicht ausgeladen. Ich selbst hatte Mbembe kritisiert, weil er antisemitische Narrative bedient und sich problematisch verhalten hat. Als Antisemitismusbeauftragter betrachte ich es als meine Aufgabe, auf Antisemitismus hinzuweisen. Ich finde, es gehört zum Diskurs dazu, dass man sich Kritik anhören können muss. Jeder Kulturschaffende kann einladen, wen er möchte. Man muss nur nicht damit rechnen, dass man dafür immer nur Beifall bekommt.
Deutsche Kulturinstitutionen könnten Mbembe also wieder einladen – das durfte dann aber nicht mit öffentlichen Mittel bezahlt werden?
Natürlich kann er eingeladen werden. Die Institutionen, die das tun sollten allerdings vor Augen haben, welche Debatten das auslösen könnte. Der Bundestag hat einen Beschluss getätigt, dass er Antisemitismus nicht mit staatlichen Mitteln fördern will. Genau das ist das primäre Ziel des BDS-Resolution: eine politische Willensbekundung, die ermessenleitende Wirkung entfalten soll. Ich selbst habe das übrigens zum Anlass genommen, einen Kabinettsbeschluss zum BDS-Beschluss zu organisieren. Wir haben uns aber letztlich dagegen entschieden, um die größtmögliche Flexibilität der einzelnen Bundesministerien zu erhalten. Gerade in der Entwicklungszusammenarbeit, die etwa auch im Westjordanland unterwegs ist, ist diese Flexibilität wichtig, damit man projektbezogen überlegen kann, was der Beschluss genau bedeutet.
Wenn Judith Butler – eine der bekanntesten jüdischen Intellektuellen, die BDS offen unterstützt – eingeladen würde zu einem Vortrag in einer öffentlich geförderten, deutschen Kulturinstitution? Wäre das mit dem BDS-Beschluss vereinbar?
Sie wurde ja eingeladen, von der Fachgesellschaft Geschlechterstudien, Gender e.V. gemeinsam mit dem Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der TU Berlin. Sie ist auch gekommen, aller daran geäußerten Kritik zum Trotz. Das zeigt, dass die Sorge vor möglichen Diskursbeschränkungen unbegründet ist. Niemand könnte dem Zentrum der Institution eine Weisung geben, Butler aufgrund des BDS-Beschlusses nicht einzuladen. Genauso wenig hätte Frau Carp verboten werden können, Herrn Mbembe einzuladen.
Hätten Sie es denn verboten, wenn Sie die Verfügung gehabt hätten?
Diese Frage stellt sich nicht. Aber Mbembe, das muss man auch sehen, hat nicht nur Boykott unterstützt, er hat auch selbst boykottiert. Er sorgte dafür, dass israelische Kollegen, noch dazu regierungskritische, nicht zu einem Kongress in Südafrika fahren konnten. Weder Frau Neiman noch Frau Butler haben dazu bislang Stellung bezogen.
Schätzen Sie die Debatte letztlich als produktiv ein?
Es werden seitdem viele Fragen aufgeworfen, die zu wenig diskutiert wurden in Deutschland. Etwa das Verhältnis zwischen dem Holocaust und anderen Völkermorden. Also etwa die Frage, ob wir das Leid afrikanischer Völker durch den Kolonialismus relativieren, wenn wir die Singularität des Holocaust in den Vordergrund stellen. Es gibt Aspekte dieser Debatte, die interessant und wichtig sind. Daher freue ich mich, dass sie geführt wird. Ich würde mir nur wünschen, dass sie auch sachlich geführt wird.
Das Simon-Wiesenthal-Center listete die Initiative Weltoffenheit jüngst auf ihrer Liste der schlimmsten Antisemiten. Jacques Schuster schrieb in der Tageszeitung DIE WELT, die Initiative sei „ein klarer Fall von demokratischem Antisemitismus“. Sorgen Sie sich im Licht solcher Aussagen nicht um eine Verwässerung des Antisemitismusbegriffs? Verliert der Vorwurf dadurch nicht an diskursiver Schärfe und Glaubwürdigkeit?
Ich finde es sehr schwierig, so eine Hierarchisierung vorzunehmen der verschiedenen Formen von Antisemitismus. Das führt zu einer Debatte, die niemandem recht sein kann. Wie wollen Sie den islamistischen Antisemitismus mit dem eines deutschen Rechtsextremisten vergleichen? Oder mit linkem Antisemitismus, der Juden und Kapital in eins wirft? Davon halte ich nicht viel. Wir sind alle aufgerufen, den Antisemitismus vor der eigenen Haustür zu bekämpfen.
BDS ist keine feste Organisation: jede und jeder kann sich nach Eigeninterpretation auf das Label BDS beziehen. Sehen Sie die Gefahr, dass der BDS-Beschluss ein schematisches Schwarz-Weiß-Denken fördert? Müsste man in Ihren Augen die Arbeitsdefinition für Antisemitismus nachschärfen?
Die Debatte dreht sich unter anderem um die Frage, wie weit Kritik an der israelischen Regierungspolitik gehen darf, sie berührt das Verhältnis von Antisemitismus und legitimer Kritik. Das ist eine zentrale Frage, die aber mit den uns zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln zu beantworten ist. Wir haben neben der 3D-Regel – Dämonisierung, Delegitimierung und Doppelstandards – vor allem die IHRA-Arbeitsdefinition, die ein hilfreiches Werkzeug sein kann beim Erkennen von Antisemitismus.
Susan Neiman sagte im Radiogespräch mit Ihnen im Deutschlandfunk, dass derzeit eine neue Definition in Arbeit.
Ich sehe der neuen Definition mit Interesse entgegen. Wenn wir über israelbezogenen Antisemitismus in Deutschland sprechen, müssen wir aber immer auch den Kontext sehen, dass Kritik an Israel im Land der Täter eine exkulpatorische Wirkung hat. Wenn Israelis als Täter dargestellt werden, dann löst das in Deutschland Schuldabwehr für die Gräueltaten des Nationalsozialismus aus. Das ist etwas, was ich den politisch eher linksstehenden Israelis gern sagen würde: Natürlich soll man israelkritische Stimmen auch in Deutschland zur Geltung bringen dürfen. Aber eine gewisse Sensibilität für die historische, deutsche Verantwortung sollte man doch haben.
An der Kunst-Uni Weißensee wurde im Herbst eine Veranstaltung jüdischer Israelis wegen vermeintlicher BDS-Nähe gecancelt. Sie sagten eben, wenn Leute nach Deutschland kommen, müssen sie die hier geltende historische Sensibilität gegenüber Israel nachvollziehen. Aber sollten wir in Deutschland nicht auch versuchen, unsere Selbstbezogenheit zu hinterfragen – gerade, wenn jüdische Israelis ihre Perspektiven einbringen?
Wie Sie vielleicht wahrgenommen haben, habe ich mich zu diesem Fall in Weißensee nicht öffentlich geäußert – und möchte es auch weiter so halten. Grundsätzlich fände ich es unglücklich, wenn in Deutschland lebenden Israelis Antisemitismus unterstellt würde. Wobei es rein legalistisch betrachtet keinen Unterschied macht. Aber auch ich denke, dass man letztlich nicht alles nur legalistisch betrachten sollte.
Im letzten Jahr konnten wir in den Reihen von Querdenkern und sogenannten Corona-Skeptikern ein starkes Anwachsen an strukturellem Antisemitismus beobachten. Was sind die Strategien der Bundesregierung, dem zu begegnen?
Ich habe bereits im März letzten Jahres davor gewarnt, dass wir es hier wirklich mit einer extremen Gefahr zu tun haben. Weil hier plötzlich Gruppen, die sonst nichts oder höchst wenig miteinander zu tun hätten, Seite an Seite marschieren. Was mich besonders bedrückt, ist die Anschlussfähigkeit in die Mitte der Gesellschaft. Leider scheinen antisemitische Verschwörungsmythen hier wie so eine Art Kitt zu wirken. Auch die Verharmlosung des Holocaust von dieser Seite ist wirklich unerträglich. Ich denke, wir brauchen restriktive Auflagen der Ordnungsbehörden an die Veranstalter, also etwa Verbote von Judensternen und Ähnlichem. Gleichzeitig müssen wir in die politische Bildung investieren. Ich bin der festen Ansicht: Wer über Anne Frank Bescheid weiß, würde solche Vergleiche nicht wagen.
Auch innerhalb der AfD ließen sich in den letzten Jahren immer wieder Fälle von Holocaust-Verharmlosung beobachten. Fällt das auch in ihr Aufgabengebiet?
Ja, sicher. Also, die 12 Jahre zwischen 1933 und 1945 als „Vogelschiss der Geschichte“ zu bezeichnen, ist sekundärer Antisemitismus. Oder das Holocaust-Mahnmal als „Mahnmal der Schande“ darzustellen das löst Antisemitismus aus. Als Regierungsbeauftragter bin ich dem Neutralitätsgebot verpflichtet, ich gehöre selbst auch keiner Partei an. Aber ich nehme in Anspruch, dass, egal in welcher Partei Antisemitismus geäußert wird, ich mich zu Wort melde.
Wie glauben Sie, wird sich die Debatte zum BDS-Beschluss weiterentwickeln?
Die Stadt München hat kürzlich in einem Stadtratsbeschluss gefordert, dass BDS-nahen Gruppen keine öffentlichen Räume mehr zur Verfügung gestellt werden dürfen. Eine Gruppe klagte daraufhin, vor dem Verwaltungsgericht bekam die Stadt München Recht. Jetzt sagte in der Rechtsmittelinstanz der Verwaltungsgerichtshof von Bayern: Nein, das sei ein unzulässiger Eingriff in die Meinungsfreiheit. Das Revisionsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wird interessant werden.
Das wird bundesweite Auswirkungen auf den Sachverhalt haben?
Klar, es geht letztlich um die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Wenn die Stadt München das Verfahren in Leipzig gewinnt, könnte, eine Stufe höher, sogar noch das Bundesverfassungsgericht angerufen werden. Dieses Verfahren wird in jedem Fall Einfluss haben auf die Art und Weise, wie wir diese Diskussionen in Zukunft führen.