Felix Klein: "Da herrscht aus meiner Sicht ein völlig falsches Verständnis des BDS-Beschlusses"
Interview 21.12.2020
Felix Klein sprach im Interview mit Thierry Chervel vom Kulturmagazin Perlentaucher über den Aufruf von Leiterinnen und Leitern deutscher Kultur-, Wissenschafts- und Bildungseinrichtungen im Rahmen der 'Initiative GG 5.3 Weltoffenheit', über die BDS-Resolution des Deutschen Bundestags und sein Verständnis von Meinungsfreiheit. Das Interview wurde am 20. Dezember bei Perlentaucher veröffentlicht.
Perlentaucher
Die Chefs einiger der wichtigsten Kulturinstitutionen Deutschlands sind nicht einverstanden mit einer Resolution des Bundestags – sollten sie sich ein neues Volk wählen?
Diese Leiterinnen und Leiter von Kultur-, Wissenschafts- und Bildungseinrichtungen haben offenbar das Bedürfnis nach Klarheit, was der Bundestagsbeschluss zu BDS tatsächlich bedeutet für ihre tägliche Arbeit. Das ist grundsätzlich ein legitimes Anliegen, und ich habe bereits meine Bereitschaft deutlich gemacht, hier im Rahmen meiner Möglichkeiten zu vermitteln. Ich wundere mich allerdings, dass sie nicht das direkte Gespräch den Abgeordneten des deutschen Bundestags gesucht haben, da der Beschluss im Bundestag gefasst wurde.
Sind Sie denn überrascht von der Breite und Massivität der Unterstützung? Waren Sie informiert über die Initiative?
Ich habe einige Tage vorher aufgrund persönlicher Kontakte, mitbekommen, dass sich die Gruppe trifft. Die Erklärung ist ja sehr scharf, besonders, weil sie Kunst- und Wissenschaftsfreiheit grundsätzlich in Frage gestellt sieht. Das überrascht mich sehr, ja. Da herrscht aus meiner Sicht ein völlig falsches Verständnis des BDS-Beschlusses. Auch der Vorwurf, dass Achille Mbembe ausgegrenzt worden sei ist nach meinem Dafürhalten unberechtigt. Er wurde nicht von der Ruhrtriennale ausgeladen, da die Veranstaltung coronabedingt gar nicht stattfand, er bekam in deutschen Zeitungen ganze Seiten zur Verfügung gestellt, um seine Position darzustellen und er hat in keiner Weise ein Auftrittsverbot in Deutschland. Der Bundestag hat die Bewegung BDS nicht verboten, sondern will lediglich verhindern, dass BDS-Positionen mit Hilfe von Steuergeldern verbreitet werden.
Wäre das der Fall gewesen, wenn Mbembe seine Rede bei der Ruhr-Triennale gehalten hätte?
Ich hielt Mbembe als Redner der Eröffnungsrede eines so wichtigen Festivals für nicht geeignet, weil er mehrfach in seinen Publikationen antisemitische Narrative bedient hat und BDS nicht nur unterstützt hat, sondern auch im Sinn der Organisation handelte, indem er sich etwa dafür einsetzte, , dass eine jüdische Wissenschaftlerin aus Israel, mithin eine Kollegin, , nicht an einem Kongress in Südafrika teilnimmt. Wer sich so verhält, ist nicht geeignet für so eine Rede. Darauf habe ich aufmerksam gemacht.
Nun sagen die Kulturkoryphäen in ihrem Aufruf, dass nun gerade durch solche Äußerungen ein Graufeld entsteht, in dem sie nicht wissen, was erlaubt und was verboten ist. Geht es hier überhaupt um Dürfen und Nichtdürfen?
Gut, ich verstehe das Bedürfnis der Leiter und Leiterinnen dieser Kulturinstitutionen nach größerer Klarheit. Deshalb habe ich kürzlich in einer öffentlichen Diskussionsrunde zu diesem Thema im Radio einen Lösungsvorschlag gemacht, wonach der wissenschaftliche Dienst des Bundestags ein Gutachten erstellt um zu klären, wie sich der BDS-Beschluss auswirkt. Beauftragt werden müsste das von Bundestagsabgeordneten. Es gibt positive Reaktionen auf den Vorschlag, auch von Kulturstaatsministerin Grütters. Wir alle haben größtes Interesse an dem Erfolg dieser Institutionen.
Wenn Sie als Bundesbeauftragter eine Äußerung Mbembes kritisieren, was ist das genau, eine Meinungsäußerung Ihrerseits, eine regierungsamtliche Äußerung?
Als Antisemitismusbeauftragter ist es meine Aufgabe, die Öffentlichkeit für aktuelle und historische Formen des Antisemitismus zu sensibilisieren. Dazu gehört auch, kritische Stellungnahmen zu Antisemitismus zu äußern – und das ist es, was ich getan habe. Das ist ein ganz normaler Teil des demokratischen Diskurses. Antisemitismus ist von der Meinungsfreiheit geschützt – er ist kein Straftatbestand oder so etwas -, aber wenn jemand antisemitische Narrative bedient, dann muss er oder sie damit rechnen, dass es Widerspruch gibt. Nichts Anderes habe ich gemacht.
Der Ha'aretz-Journalist Itay Mashiach suggeriert in einem Artikel, Sie hätten den Deutschlandfunk-Redakteur Stephan Detjen, der dezidiert gegen Sie und die BDS-Resoultion Stellung genommen hat, gesagt, es gebe Bestrebungen ihn zu entlassen? Detjen wird zitiert, er habe "noch nie erlebt, dass ein Beamter mit Sitz im Innenministerium... von Entlassungsforderungen gegen einen Journalisten spricht, weil ein Kommentar ihm nicht gefallen hat".
Ich habe nie die Entlassung von Herrn Detjen betrieben. Ich hatte in einem Gespräch widergegeben, was mir zu Ohren gekommen war. Es wäre abwegig, die Entlassung eines Journalisten zu fordern, dessen Meinung man nicht teilt.
Der Staatsrechtler Christoph Möllers sagt in seinem Statement für die "Initiative", Bundestag und -regierung dürfen eine Meinung haben, aber nicht qua Staatsgewalt durchsetzen. Anderer Stelle sagt er auch, sie als Beauftragter der Regierung hätten keine Meinungsfreiheit, sondern seien auf die Grundrechte verpflichtet.
Das ist völlig richtig. Aber ich habe auch Meinungsfreiheit. Mein Amt wäre ja total wirkungslos, wenn ich mich nicht am öffentlichen Diskurs beteiligen könnte. Ich habe kein Recht, Anweisungen zu geben. Aber ich kann kritisch Stellung nehmen.
Warum sind diese Chefs so verängstigt, wenn Sie gar keine Weisungen geben können?
(Lacht) Es freut mich natürlich, dass ich Gehör finde. Jede Institution muss sich doch überlegen, mit wem sie redet. Und das ist der Inhalt des Bundestagsbeschlusses. Auch nach dem Beschluss zu BDS kann jeder Theaterchef, jede Chefin einer Institution, jede Rednerin, jeden Künstler einladen, aber man muss mit den Konsequenzen leben, die eine Debatte mit sich bringt. Die Debatte um Mbembe hat ja gezeigt, dass da einige Narrative über Holocaust und Kolonialismus kollidieren, und das ist ja auch gut so. Solche Debatten sind gut und wichtig in einer Demokratie.
Allerdings scheint es so, dass praktisch alle wichtigen Kulturinstitutionen in dieser Debatte einer Seite zuneigen. Man hört ja keine anderen Stimmen aus der Kulturwelt.
Das stimmt.
Diese Institutionen argumentieren im Namen der Vielfalt. Sie sagen, sie wollen eine Vielfalt der Positionen zulassen, aber sie sind sich alle komplett einig.
Ja, es sind schon sehr starke Worte, die da fallen. Das muss uns beschäftigen. Ich kann nur wiederholen: Es ist sehr viel Raum für Diskurs, trotz des BDS-Beschlusses.
Es soll ja nun demnächst auch einen Rassismusbeauftragten der Bundesregierung geben, und es ist ein milliardenschweres Antirassismusprogramm beschlossen worden. Ist es allgemein so, dass die Bundesregierung stärker ins freie Spiel der Ideen hineinregieren will?
Das Paket soll den Diskurs ja gerade stärken. Es ist ja gut, dass diese Diskurse auch mit öffentlichen Geldern angeschoben werden sollen. Nehmen wir das Thema Radikalisierung im Internet. Der Staat kann so etwas nicht durch Behörden klären, er ist angewiesen auf eine wachsame Zivilgesellschaft, die aber auch unterstützt werden muss.
Was sagen Sie zu dem Vorwurf, den jetzt auch Omri Boehm in Zeit online vorbringt, dass der BDS-Beschluss in innerisraelische Debatten eingreift?
Diesen Vorwurf können wir getrost damit entkräften, dass man sagt: Hier geht es um die Bekämpfung eines israelbezogenen Antisemitismus, der auch deshalb so gefährlich ist in Deutschland, weil hier Erhebungen zufolge 40 Prozent der Bevölkerung latent israelkritisch eingestellt sind. Deshalb kann eine so kleine Gruppe wie BDS eine so verheerende Wirkung entfalten. Deshalb ist es auch dem Bundestag so wichtig, diese kleine Gruppe hervorzuheben.
Der "Weltoffenheit"-Aufruf wendet sich gegen einen Beschluss des Bundestags – es ist ja schon ein Ding, dass die große Mehrheit der Repräsentanz der Bevölkerung aufgefordert wird, ihre Meinung zu ändern. Müssen der Bundestag und die Regierung sich dazu nicht irgendwie verhalten?
Ja, natürlich. Wir wollen alle den Erfolg dieser Institutionen. Aber nochmal: Ich verwahre mich gegen den Vorwurf, dass hier Grundrechte in Frage gestellt werden und es ist schon ein Widerspruch, dass Leute, die "Weltoffenheit" fordern, ausgerechnet eine Gruppe unterstützen, die Weltoffenheit verhindert.
Sie wollen Boykott nicht mit Boykott beantworten, sagen sie.
Schon. Aber es besteht auch kein Anspruch darauf, Boykott staatlich zu finanzieren. Darum muss darauf aufmerksam gemacht werden, wenn BDS-Unterstützer eingeladen werden – dazu verpflichtet die Resolution.