Dr. Felix Klein in DIE ZEIT: "Für eine Entschuldigung sehe ich keinen Anlass"

Typ: Interview , Datum: 19.05.2020

Dr. Felix Klein sprach im Interview mit dem Redakteur von DIE ZEIT, Adam Soboczynski, über die Diskussion um den Historiker Achille Mbembe, über das Wesen von Antisemitismus und die Gefahr, die von ihm ausgeht sowie über sein Verständnis von dem Amt, das er bekleidet.

DIE ZEIT

Das Interview wurde in DIE ZEIT Nr. 22/2020 in der Feiertagsausgabe vom 19./20. Mai 2020 veröffentlicht.

Das Interview ist auch online abrufbar, unter https://www.zeit.de/2020/22/felix-klein-holocaust-achille-mbembe-proteste

ZEIT: Achille Mbembe, dem Sie die Relativierung des Holocausts vorgeworfen haben, fordert von Ihnen eine Entschuldigung. Möchten Sie dieser Aufforderung nachkommen?

Felix Klein: Ich kritisiere Herrn Mbembe nicht für seine gesamte Forschung, die unbestritten verdienstreich ist. Er hat alle Wissenschafts- und Redefreiheit, sich auch über Israel zu äußern, aber er muss sich nicht wundern, dass es auf Widerspruch stößt, wenn er dabei bestimmte antisemitische Klischees bedient

Es wird Ihnen vorgeworfen, dass Sie sich mit dem Werk von Mbembe letztlich nicht beschäftigt haben. Wo bedient er in ihren Augen antisemitische Klischees?

Natürlich habe ich mich mit seinem Werk auseinandergesetzt, und bin beispielsweise auf seinen Aufsatz The society of enmity von 2016 gestoßen. Dort findet man alle Merkmale des israelbezogenen Antisemitismus: Israel wird dämonisiert, es wird ein doppelter Maßstab angelegt und das Land wird als Ganzes delegitimiert. 2015 hat Herr Mbembe ein Vorwort für das Buch Apartheid Israel verfasst, in dem er argumentierte, Israel sei schlimmer als das südafrikanische Apartheidregime. Der Erlös des Buches ging an eine BDS-Gruppierung. Für mich ist die Angelegenheit leider eindeutig. Und ich wundere mich, dass es Leser dieser Schriften gibt, die das anscheinend einfach ausblenden.

Achille Mbembe begreift sich nicht als Antisemit.

Das glaube ich gern, ich habe ihn auch nicht so bezeichnet, aber doch auf problematische Aussagen hingewiesen. Es ging nie darum, ihn als Person zu stigmatisieren.

Die Rufschädigung, die mit einer solchen Kritik einhergeht, liegt doch auf der Hand. Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Sie sehen für eine Entschuldigung keinen Anlass?

Ich habe problematische Texte Achille Mbembes kritisiert und das auch begründet. Ich erfülle meinen Auftrag wie er vom Deutschen Bundestag in mehreren Entschließungen formuliert worden ist, gerade auch im Hinblick auf israelbezogenen Antisemitismus. Für eine Entschuldigung sehe ich keinen Anlass.

Nun gibt es viele, im Übrigen auch sehr renommierte, Wissenschaftler weltweit, die Ihren Rücktritt fordern. Beispielsweise Eva Illouz, Noam Chomsky oder Judith Butler. Können sie deren Anliegen nachvollziehen?

Meine Aufgabe, die Öffentlichkeit für Antisemitismus zu sensibilisieren, besteht darin, Phänomene und Muster sichtbar zu machen, egal von wem sie kommen. Im Übrigen habe ich von zahlreichen Akademikern auch große Unterstützung für meine Einschätzung erhalten wie etwa die vieler tausend Wissenschaftler der Scholars for Peace in the Middle East.

Besteht nicht die Gefahr, dass der Wissenschafts- und Kulturbetrieb erheblich Schaden nimmt?

Ich habe einen Themenkomplex angeschnitten, über den in den vergangenen Jahren zu wenig gesprochen wurde, und zwar auch international zu wenig. Nämlich die Frage, wie es um das Verhältnis der postcolonial studies zum Antisemitismus bestellt ist. Ganz offensichtlich kollidieren manche dieser Theorien mit unserer Erinnerungskultur, die ich als Errungenschaft ansehe. Es mag sein, dass man in anderen Ländern dafür weniger sensibilisiert ist, aber etwas aus deutscher Sicht Falsches wird doch nicht dadurch richtig, dass es von außen kommt. Und dies zu thematisieren, sollte mir erlaubt sein.

Der Ausgangspunkt der Auseinandersetzung war, dass Mbembe die Ruhrtriennale eröffnen sollte.

Ja, und das nachdem dort erst vor zwei Jahren eine BDS-nahe Band auftreten sollte. Das hat mich enorm gewundert. Hier geht es um Steuergelder, und der Bundestagsbeschluss zu BDS von 2019 zielt im Übrigen genau auch auf diesen Punkt: Sollen wir Künstler oder Intellektuelle finanzieren, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen? Doch gerade nicht.

Nun wird der BDS außerhalb Deutschlands durchaus als legitime Protestkultur wahrgenommen. Können wir unsere Erinnerungskultur zum Maßstab in der ganzen Welt machen?

Der BDS genießt auch in Deutschland Meinungsfreiheit – solange nicht strafrechtlich Relevantes wie Volksverhetzung betrieben wird. Aber der deutsche Staat sollte keine Steuergelder für diese Bewegung aufwenden.

Gibt es Ihrer Ansicht nach legitime Formen, Israel zu kritisieren?

Ich selbst sehe beispielsweise die Siedlungspolitik der israelischen Regierung als problematisch und spreche dies auch an. Dafür muss ich aber nicht den gesamten israelischen Staat als Apartheidsregime auffassen, was ihn per Definitionem delegitimieren würde. Oder alle Israelis in Haftung für Regierungshandeln nehmen. Das wäre antisemitisch.

Manchen stößt übel auf, dass ausgerechnet das Tätervolk nun die besten Expertisen für Antisemitismus haben soll.

Diesen Anspruch erhebe ich nicht, aber wir können doch schlecht so tun, als sei die Shoa nicht von Deutschland ausgegangen. Wir haben eine besondere Verantwortung beim Kampf gegen Antisemitismus. Nach meinem Eindruck sehen dies viele internationale Partner auch so, weshalb unser Land auch wegen seiner besonderen Erinnerungskultur sehr angesehen ist. Es wäre doch kurios, wenn Deutschland den Schluss aus dem Holocaust ziehen würde, hier möglichst nachgiebig zu sein.

Viele Wissenschaftler und Künstler stört, dass sie sich hierzulande einem staatlichen Lackmustest unterziehen sollen, wenn sie hier auftreten möchten. Stellt sich nicht die Frage nach der Verhältnismäßigkeit Ihres Handelns? Im Kontext des Gesamtwerkes sind die israelkritischen Stellen etwa bei Mbembe von überschaubarem Ausmaß.

Wissenschaftsfreiheit und Meinungsfreiheit sind garantierte Grundrechte. Aber wenn jemand sich unter dem Schutz dieser Grundrechte sich so problematisch äußert, muss er Widerspruch aushalten. Auch das gehört zur Demokratie. Ich melde mich immer erst zu Wort, wenn ich mir sicher bin, dass es ein Problem gibt.

War der BDS-Beschluss des Bundestages im Kampf gegen den Antisemitismus wirklich hilfreich?

Der BDS-Beschluss des Bundestags war ein wichtiges politisches Zeichen. Die Sorge, dass der Beschluss auch zu einer unguten Einengung des Diskurses beitragen kann, nehme ich ernst. Aber der Beschluss lässt definitiv Raum für legitime Israelkritik.

Das Problem beim BDS ist doch, dass er keine Institution, nicht einmal eine klar konturierte Organisation ist. Es ist eher eine Bewegung, niemand hat einen Mitgliedsausweis. Ob jemand ein BDS-Aktivist oder nicht, lässt sich zum Teil gar nicht sagen.

Es lässt sich aber durchaus benennen, wenn israelbezogener Antisemitismus am Werk ist. Der Bundestag wollte Orientierung bieten und hat das getan. Zugleich haben wir im politischen Handeln Abstufungs- und Interpretationsspielräume.

Provokant gefragt: Benötigen wir überhaupt eine Bundesstelle gegen Antisemitismus? Ist die liberale Gesellschaft mit ihren Medien unfähig, von sich aus auf Fehlentwicklungen hinzuweisen? Als Günter Grass 2012 sein berüchtigtes Israel-Gedicht Was gesagt werden muss veröffentlicht hat, wurde dies heftig kritisiert, ohne dass es einen Beauftragten des Bundes bedurft hätte.

Trotz aller Maßnahmen, die wir in Deutschland politisch ergriffen haben, ist der Antisemitismus nicht verschwunden, sondern auf besorgniserregende Weise angestiegen. Das wird auch einmal mehr deutlich werden, wenn der Bundesinnenminister Ende Mai die jährliche Statistik zu politisch motivierter Kriminalität vorlegen wird. Antisemitismus wendet sich nicht nur gegen Juden. Er ist Ausdruck einer zutiefst demokratiefeindlichen Haltung und bedroht die Errungenschaften unserer offenen, freiheitlichen Gesellschaft. Meine Aufgabe besteht darin, die staatlichen Akteure im Kampf gegen Antisemitismus zu koordinieren und Debatten anzustoßen. Denken Sie an den Echo-Preis, bei dem Kollegah und Farid Bang ausgezeichnet wurden, Künstler also, die Holocaust-Überlebende verhöhnten. Ein Beauftragter kann hier in sehr sinnvoller Weise eine Diskussion befördern, die liberale Gesellschaft bleibt aber weiterhin gefordert.

Gibt es unterschiedliche Antisemitismen oder letztlich nur einen Antisemitismus?

Der Antisemitismus zeichnet sich zumeist durch eine Täter-Opfer-Umkehr aus und bedient einen Kollektivismus, indem alle Juden für ein Übel verantwortlich gemacht werden. Die Ausprägungen und angeführten Begründungen sind dann sehr unterschiedlich. Der linke Antisemitismus konzentriert sich gern auf Israel. Die Holocaust-Leugnung, wie sie von rechts betrieben wird, ist ihm fremd. Aber die klassischen Stereotype greifen auch bei Teilen der antikapitalistischen Linken. Es wird eine weltweite Übermacht Israels behauptet und im antizionistischen Kampf werden Juden kollektiv in Haftung genommen.

Sind aus ihrer Sicht alle Antisemitismen gleichermaßen gefährlich?

Wenn wir uns die Straftaten ansehen, so sind sie zu über 80 Prozent dem rechtsextremistischen Spektrum zuzuordnen. Die tödliche Dimension kommt eindeutig von rechts, wie der Anschlag von Halle tragisch gezeigt hat. Der linke Antisemitismus agiert oftmals subtiler, vor allem im akademischen Milieu. Wir müssen Antisemitismus aber auch unterhalb des strafrechtlich relevanten Bereichs thematisieren. Ich erlebe es oft, dass der Antisemitismus jeweils woanders gesucht wird, je nachdem welches Interesse verfolgt wird. Wenn ich beispielsweise linken Antisemitismus ankreide, halte ich es für ein sehr schwaches Gegenargument, wenn darauf verwiesen wird, dass es auch einen rechten, einen islamistischen oder einen sonstigen noch gefährlicheren gibt.

Ihnen scheint die Solidarität, die Mbembe von sehr anerkannten Wissenschaftlern weltweit erhält, völlig unerklärlich zu sein.

Nein. Ich sehe, dass die komplizierte Staatsgründung Israels, der ungelöste Nahost-Konflikt und der israelische Umgang mit den Palästinensern von vielen postkolonialen Wissenschaftlern mit Rassismus und der Apartheid in Zusammenhang gebracht werden. Ich teile diese Ansicht nicht, aber sie befördert offenbar ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Diese Position gerät allerdings in Konflikt mit der Haltung Deutschlands, bei aller berechtigten Kritik an der Seite Israels zu stehen.

Es wurde in den vergangenen Jahren verschiedentlich argumentiert, dass die islamische Zuwanderung zu einer Zunahme des Antisemitismus geführt hat. Sehen Sie das auch so?

Die Zahl der antisemitischen Straftaten durch Zuwanderer ist gering und auch in den letzten Jahren nicht signifikant angestiegen. Die Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze allerdings schon. Dass man im arabischen Raum mit mehr antisemitischen Positionen und Bildern aufwächst, ist unbestritten. Aber wir sehen, dass es möglich ist, Jugendliche und junge Erwachsene zu sensibilisieren, u.a. mit gezielten Integrationsmaßnahmen aber auch mit Hilfe einer Erinnerungskultur, die in die Herkunftsländer Brücken schlägt. Ich bin da nach den bisherigen Erfahrungen eher optimistisch.

Wir erleben seit einigen Jahren, dass die Exekutive immer stärker in Debatten eingreift, die auch die Zivilgesellschaft mit ihren Medien unter sich austragen könnten. Ich denke da natürlich an Ihre, erst 2018 erschaffene, Funktion, aber auch an die Bundeskulturstiftung oder das vom Familienministerium geförderte Programm „Demokratie leben!“ Besteht hier nicht die Gefahr, dass die Bundesregierung als Betreuungsanstalt für unmündige Bürger aufgefasst wird?

Politische Bildung ist zweifelsfrei auch Bundesaufgabe – und zwar eine sehr bedeutsame. Es werden damit ja zivilgesellschaftliche Projekte unterstützt, die von sich aus initiativ werden. Damit wird nichts oktroyiert, vielmehr gesellschaftspolitisches Engagement gefördert.

In der Auseinandersetzung um Mbembe hat sich das Auswärtige Amt gegen Sie positioniert. Andreas Görgen, der Leiter der Kulturabteilung hat Mbembe auf Twitter vehement verteidigt. Warum?

Ich respektiere es, wenn Professor Mbembe als postkolonialer Wissenschaftler geschätzt wird. Deshalb halte ich es auch für geboten, dass ich die nach meiner Ansicht antisemitischen Klischees kritisiere auch in der Hoffnung, dass er sich mit dieser Kritik auseinandersetzt.

Es ist ein erstaunlicher Zufall, dass Sie ausgerechnet in Kamerun, der Herkunft Mbembes forschten.

Ja, in der Tat! Die verheerenden Auswirkungen des Kolonialismus habe ich in Kamerun mit eigenen Augen gesehen. Ich habe mich in meiner Dissertation mit dem Eherecht in Kamerun beschäftigt. Das koloniale Rechtserbe, das dort implementierte common law und der Code Civil, existieren neben dem Stammesrecht, mit dem etwa die Polygamie geregelt wird. Das führt bis heute zu Konflikten. Es ist nur fatal, wenn ein allgemeiner Rassismusdiskurs dafür genutzt wird, israelbezogenen Antisemitismus zu betreiben. Israel wird häufig als Blaupause gesehen, um alles Übel der Welt zu erklären, das wird gerade in diesen Tagen auch wieder an den kruden Verschwörungsmythen zur COVID-19-Pandemie deutlich.

Nun hat Mbembe in seinem Beitrag in der ZEIT deutlich gemacht, dass er am Existenzrecht Israels nicht rütteln möchte, und er pauschale Boykottaufrufe mittlerweile selbst kritisch sieht.

Es freut mich, dass hier aufgrund meiner Kritik offenbar eine Differenzierung stattgefunden hat.